Test Drive Unlimited 2: Ferieninsel vs. Kotzbrocken

Test Drive Unlimited 2 ist ein Rennspiel, in dem wir die übliche Rennfahrerkarriere durchlaufen und mit der Zeit langsamere gegen schnellere Autos austauschen und um immer mehr Preisgeld fahren. Wir tun das auf zwei Inseln, zunächst Ibiza, später Hawaii. Im Gegensatz zu den meisten Rennspielen können wir auf den Inseln überall hin fahren, wo wir wollen. So weit so gut. Das Problem ist, dass es mir sehr schwer fällt, eine klare Meinung zu haben.

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Am besten illustriere ich das mit diesem Video, mit dem die Marketingabteilung die schönen Inseln anpreisen will:

Zunächst schöne Licht- und Wetterwechsel, tolle Landschaft, Weitsicht, und Ford GT, immer gut. Doch nach rund fünzig Sekunden setzt plötzlich der übelste Euro-Trance ein diesseits von Ballermann, und mir ist schon klar, dass man sich auf Ibiza vor ca. fünfzehn Jahren gerne zu solcher Musik ins Koma soff, aber muss man dann auch noch Figuren zeigen (jetzt wieder im Video), die wie Schaufensterpuppen aussehen und (jetzt wieder auf Ibiza) wohl etliche ungewollte Ferienschwangerschaften verhindert hätten? Ich bin verwirrt. Wie kann jemand, der sich mit der Landschaft so viel Mühe gibt, dann bei der Architektur und den „Menschen“ einen dermassen schlechten Geschmack vorführen?

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Dieser erste Eindruck bestätigt sich dann leider auch im Spiel. Die Geschichte und die Figuren sind so schlecht geschrieben, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Wir können zu Beginn unsere Figur aus einer politisch korrekten Benetton-Schar auswählen (weiss, schwarz und asiatisch, jeweils Mann und Frau) und erhalten dann sofort einen Ferrari auf den Geburtstag geschenkt, was sich kurz darauf – Achtung, der originellste Twist des Jahres! – als Tagtraum eines Luxushotel-Angestellten herausstellt, der Autos nicht besitzt, sondern für die Reichen parkiert. Und der immer als Mann angeredet wird, auch wenn man am Anfang eine Frau ausgewählt hat. Und der dann aber sofort als Rennfahrer rekrutiert wird und einen Wohnwagen bezieht (vorher hat der wohl auf der Strasse geschlafen).

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Unsere erste Gegnerin im Rennen ist eine junge Dame mit Sonnenbrille und Miniköter namens Miami Harris. Auf diesen Namen ist man beim französischen Hersteller Eden Games wohl sehr stolz, weil er nun aber echt totaaal witzig Paris Hilton persifliert. Das Auto der Dame ist dann auch ein Mustang, und zwar – natürlich! – knallpink lackiert. Denn Frauen verspüren einfach alle – alle! – den Drang, ihr Gefährt in eine Zuckerdose zu tauchen.

Das männliche Pendant zu Paris, Entschuldigung, Miami, sind die Rider-Brüder, die ziemlich genau das sind, was die Amerikaner „Douchebags“ nennen: Laute, arrogante, selbstverliebte, strunzdumme Kotzbrocken. Natürlich sollen sie das sein, es sind ja unsere Rivalen, aber es ist schlicht körperlich unangenehm, eine Zwischensequenz mit denen zu ertragen.

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Dass das Spiel selber strunzdumme Ansichten drauf hat, wird z.B. deutlich, als wir gegen die Promoterin der „Solar Crown“ (auch dieser Titel ist mega originell) antreten, die steinreiche Tussi Tess Wintory (Really, „Win“-„Tory“? Also echt jetzt?). Als wir die nämlich schlagen, schwenkt die Kamera auf die Verliererin, worauf die Gute in Tränen ausbricht. Das Spiel, ganz Kotzbrocken, meint wohl, uns eine befriedigende „Yeah, dir hab ichs gezeigt!“-Szene zu zeigen, schliesslich haben wir ja die Rivalin besiegt. Tatsächlich ist es sowohl arschig, sich über eine weinende Frau zu freuen, als auch sexistisch, weil natürlich die Frau – alle Frauen! – sofort in Tränen ausbricht, wenn sie verliert. 

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So geht das weiter, flache, hirntote Figuren, dämliche Klischee-Geschichten, grauenhafte deutsche Stimmen, steife Animationen. Und eigentlich könnte man damit das Spiel abhaken, aber halt! Das ist eben nur die eine Seite. Unter dem ganzen oberflächlichen Mist steckt ein sehr gutes Open-World-Rennspiel.

Denn Test Drive Unlimited findet nicht auf fix vorgegebenen Rennstrecken statt, sondern auf den beiden Inseln Ibiza und Oahu. Wir beginnen auf Ibiza, nach einer Weile schalten wir Hawaii frei – und wir können diese Inseln völlig frei erkunden. Rund 3000 km Strassen und Feldwege gibt es zu erfahren. Und nicht nur die Strassen, wir können auch mir nichts, dir nichts von der Strasse abbiegen und einfach durch Wald, Wiesen und Felder fahren. Die von anderen Spielen bekannten unsichtbaren Barrieren gibt es hier nicht. Rennen sind auf einer Karte markiert, wenn wir eines starten wollen, müssen wir wirklich zur Startlinie hinfahren (Orte, die wir einmal entdeckt haben, können wir später auch sofort direkt anspringen).

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Das Prinzip einer offenen, persistenten Welt in einem Rennspiel ist nicht neuMidnight Club: Street Racing von 2000 war meines Wissens das erste, Need for Speed: Underground 2 (2
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In dieser zweiten Version gibt es neu auch einen Tag-Nacht-Wechsel: Geschätzt alle zwei Stunden Echtzeit wird es Nacht, dann wieder Tag, wunderschöne Sonnenunter- und Aufgänge inklusive. Dazu kommen Wettereffekte wie Regen und Nebel. Nicht nur die Abwechslung und die manchmal wirklich schönen Ansichten sind die Folge davon, auch Rennen können je nach Tageszeit einfacher oder schwieriger sein, wenn z.B. die Strasse nass und glitschig ist oder wir am späten Nachmittag im Gegenlicht den Gegenverkehr nicht mehr richtig sehen.

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Das Fahrgefühl hat wenig mit echten Autos zu tun (obwohl echte Autos im Spiel sind, und auch trotz der Cockpit-Ansicht), die Steuerung ist recht schwammig, je schneller das Auto, desto mehr fühlt sich das nach Eistanzen ohne Kufen an. Die Automatik-Schaltung ist manchmal auch seltsam verzögert – nach einem Stopp dauert es fast eine Sekunde, bis man wieder den Vorwärtsgang kommt. Und in Rennen mit Gegenverkehr ist der Ausgang oft eher zufällig. Doch bei so einem Spiel erwarte ich nicht Simulationsqualität; und im Gegensatz zum Vorgänger fliegt man hier auch nicht mehr bei jeder einzelnen Unebenheit von der Strasse. Zwar kommt nie die Illusion auf, dass man in einem Auto sitzt – doch darum geht es nicht, das Entdecken der Inseln ist viel wichtiger.

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Dazu kommt die sehr offene Spielstruktur. Anfangs werden wir zwar etwas an der Hand genommen (und müssen auch recht dämliche Lizenzprüfungen absolvieren, die im Gegensatz zu Gran Turismo keinerlei Lerneffekt haben, sondern sich nur wie unnötiges Gängeln anfühlen), doch danach öffnet sich das Spiel und wir können selber entscheiden, worauf wir als nächstes Lust haben. Rennen fahren, oder vielleicht doch versteckte Autowracks suchen gehen? Einem Fotografen dabei helfen, bestimmte Ansichten der Insel zu fotografieren oder vielleicht ein neues Strandhaus besichtigen? Autos einkaufen, tunen oder verzieren?

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Das alles gibt uns das Gefühl der Freiheit. Deshalb macht es so viel Spass, diese Welt zu entdecken,  deshalb fühlen wir uns bald etwas zu Hause darin. Wir erkennen die Strassen wieder, auch ohne GPS. Kilometerzahlen haben eine verlässliche Entsprechung in Fahrzeit, wir erhalten ein Gefühl für Distanzen. Die Inseln fühlen sich an wie ein Ort, den es tatsächlich gibt, wie eine Welt, die unabhängig von uns existiert.

Hier ist Eden Games also eigentlich etwas Grossartiges gelungen. Doch leider hat man beschlossen, diesen wunderbaren Ort mit den schlimmsten Facetten einer Car Culture zu garnieren, die mir zuwider ist. Als ob es nur die Jeunesse dorée gäbe, mit ihren pseudorebellischen Tribal Tattoos und ihrer dämlichen Trancemusik, ihren dummen Rollenbildern und ihrer infantilen Mode, ihren engstirnigen Schickimicki-Aspirationen auf Status, der sich nur in Strandhaus, Luxusauto, Schönheits-OP und Pool-Party ausprägen kann. Klotzen ist angesagt, Carbon und Flammenaufkleber gehören überall drauf, solange man das Geld sieht, ist Geschmack sekundär. Wie soll ich mich mit solchen Grüseln identifizieren?

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Konkurrent Burnout Paradise macht diesen Fehler nicht: Da geht es ausschliesslich um die Autos, es gibt gar keine Spielfiguren, die Autos selber sind die Figuren. Das lässt uns die Möglichkeit, darum herum eigene Geschichten zu erfinden, den freien Platz mit eigenen Fantasien aufzufüllen. In Test Drive Unlimited 2 wird dagegen alles vorbuchstabiert, und noch dazu mit Figuren, die an Blödheit nicht zu überbieten sind.
Doch darunter ist trotz allem ein tolles Rennspiel in einer wunderschönen Welt versteckt. Ob man daran Freude hat, hängt wohl davon ab, wie gut man den oberflächlichen Mist verdrängen kann.

Test Drive Unlimited 2 ist für Playstation 3, Xbox360 und PC. Es ist nach PEGI ab 12. Das Haikiew ist hier.

7 Gedanken zu “Test Drive Unlimited 2: Ferieninsel vs. Kotzbrocken

  1. Wen interessieren schon die Charaktere und die Geschichte, hab mir das Spiel letzten Samstag gekauft und denn ganzen Sonntagnachmitag gespielt, bin immernoch so begeistert von der Fahrdynamik, dem genialen Gelände und denn hammer Autos, dass mir so was gar nich auffallen könnte! Besides, Rennspiele, und besonders dieses, MÜSSEN mit nem Lenkrad gespielt werden (und ner Pulsuhr ;P)!

  2. Mit dem Lenkrad? Echt? Bei einem GT bin ich total deiner Meinung, aber hier eigentlich eher nicht. Oft fährt man ja eben genau kein Rennen, sondern erkundet, oder schaut Häuser an, oder kauft Kleider oder sonst etwas, und da finde ich dann das Lenkrad eher ungeeignet. Ich hatte nie den Eindruck, dass TDU sich selber als Simulation sieht.Und bzgl. "wen interessieren schon Charaktere": Naja, Eden Games selber. Das ist eine der Haupterweiterungen im Vergleich zur ersten Version, und im Marketing haben sie immer die Figuren herausgestrichen. Wenn sie selber diese Figuren schon so wichtig finden, dann sollten sie weniger dämlich sein.

  3. Einmal mehr bin ich genau deiner Meinung. Das Erkunden und im normalen Strassenverkehr herumfahren macht verdammt viel Spass.Die Cutscenes sind nicht nur abartig schlecht und nervig, sondern man kann sie nicht einmal skippen!!! Das ist mühsam.Und was soll eigentlich das mit der Polizei?? Hattest du schon mal Probleme? Es füllt sich irgend so ein Balken, ich hab es aber noch nie geschafft diesen ganz aufzufüllen. Nicht einmal wenn man das Streifenauto selber rammt!Das ganze Spiel hätte so ein riesen Potential. Zeit dafür hatten sie ja auch…..Schade schade…. mehr als 73/100pkt. ist meiner Meinung da nicht drin.

  4. @guido, Gut ich kannte das Spiel vorher noch nicht und wenn Sie wirklich die Charaktere als DEN grossen Fortschritt preisen, dann ist es wirklich peinlich.Hasst du das Spiel auch online getestet? das würde mich noch wunder nehmen, hab bis jetzt nur offline gespielt, doch seh nich wirklich wie ich da wieder raus komme :D@Flo, Die Polizei im nacken zu haben is nich soo schwierig bzw. sobald du es willst, find ich aber ganz ok so, um Ihr zu entkommen braucht es nämlich schon bisschen was (die rammen dich mit Vollgas und dem Heli musst du auch irgendwie entkommen) und man will ja nicht ständig ein zusätzliches Rennen gegen die Polizei fahren, wenn man eingentlich zur anderen Seite der Insel will, zudem senkt sich der Verfolgungsbalken sichtlich weniger schnell, wenn du auf Hawaii bist, was die Möglichkeit doch etwas erhöht mal ungewollt in ner Verfolgung zu landen.

  5. Danke für das tolle Review. Für mich stellt sich jetzt die Frage:Gebraucht burnout Paradise holen oder Test drive unlimited 2 neu?Hat der Patch für tdu2 was gebracht? Kann man jetzt vernünftig online spielen?

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