Borderlands 2: BONERFART GRINDING

Das ist kein subtiles Spiel. Es vereint Schiessen mit Rollenspielmechanik und Pennälerhumor. Soweit, so gut – und doch hat mich die zweite Version nicht so begeistert wie die erste.

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«Borderlands 2» hat das klassische Problem einer zweiten Ausgabe: Sie ist unbestreitbar besser als die erste, doch die Idee ist nicht mehr frisch. «Borderlands 2» bügelt praktisch jedes Problem des Vorgängers aus; es ist lustiger, farbiger, lauter, grösser, abwechslungsreicher, online besser eingebunden. Mehr, mehr, mehr – aber nichts überraschendes.

Denn genau das war «Borderlands». Das erste Spiel, das einen Shooter mit Rollenspiel-Mechanik ergänzte, die beiden Genres kombinierte. Wie in einem Rollenspiel haben wir eine Spielfigur, die mit der Zeit stärker wird, die neue Fähigkeiten lernt, die Aufgaben erfüllt, und die neue, bessere Waffen findet. Aber statt mit Schwert oder Magie kämpfen wir hier mit Gewehren und Pistolen, aus der First-Person-Perspektive.

Mechanisch ist «Borderlands» also direkt mit «Diablo» zu vergleichen: Kämpfen, plündern, kämpfen, plündern, neue Fähigkeit lernen, kämpfen, plündern. Und es entwickelt eine Sogwirkung, die ich noch selten bei einem Einzelspieler-Shooter verspürte; nicht die Geschichte ist die treibende Kraft, sondern den nächsten Level zu erreichen, eine bessere Waffe zu finden.

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Dazu kommt die offene Welt, in der wir uns recht frei bewegen können (statt durch einen unsichtbar begrenzten Korridor zu rennen wie in den meisten Shootern), die prozedural generierten Waffen (weil die zufällig erstellt werden, gibt es unzählige davon – BAZILLIONS!, was jedes Plündern überraschend macht) und der überdrehte Humor.

Auf dieses Fundament kann «Borderlands 2» bauen – nichts ist grundsätzlich verändert, statt dessen gibt es einfach mehr, mehr, mehr. Die Welt ist farbiger und abwechslungsreicher; die Geschichte länger, die vielen eingeworfenen Sprüche der Figuren sind witziger.

Kleines Beispiel: Eine klassische Aufgabe – «Erledige 10 dieser Sorte!» – ist eingebettet in die Prämisse, dass wir die Yeti-ähnlichen Viecher namens «Bullymongs» «wissenschaftlich untersuchen» (sprich «töten») sollen, um ihnen einen besseren Namen zu geben. Einer der Vorschläge des Gelehrten/Jägers Sir Hammerlock ist «Bonerfart». Ständerfurz. Gnihihi!

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Klar, dass deshalb alle Kritiker begeistert sind – insbesondere, wenn man «Borderlands» damals nicht gespielt hat oder es schon eine Weile her ist, gibt es eigentlich wirklich keinen Grund, nicht begeistert zu sein.

Doch auch wenn ich viel Zeit mit «Borderlands 2» verbracht habe, und mich dabei immer hervorragend unterhalten fühlte, verspüre ich nicht die bedingungslose Begeisterung wie beim ersten Teil. Eher einen Anflug von Ermüdung.

Das hat zwei Gründe: Einer hat mit roten und grünen Pfeilen zu tun und der andere mit passiven und aktiven Skills.

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Eben, 87 BAZILLION GUNS – auf erledigten Gegnern oder in unzähligen Kisten lassen sich neue Waffen finden, die Belohnungsmaschine des Rollenspiels. Das ist also ein regelmässiger Vorgang: Plündern, eine neue Waffe finden, diese mit jenen vergleichen, die wir schon besitzen. Ist sie besser, wechseln wir aus, wenn nicht, verkaufen wir sie. Jede Waffe hat Eigenschaften (wie schnell kann sie feuern oder nachladen, wie weh tut sie, verbrennt oder verätzt sie zusätzlich usw.); mit grünen und roten Pfeilen wird uns angezeigt, ob eine neue Waffe besser ist als die alte oder nicht. Wir schauen uns also 87 BAZILLIONEN MAL rote und grüne Pfeile an (Penny Arcade nannte es deswegen eine «Arrow Comparison Engine»).

Alleine dagegen hätte ich nichts einzuwenden; denn wenn man Rollenspiele mag, vergleicht man gerne Zahlen. Doch die neu gefundenen Waffen sind fast nie besser als diejenige, die man schon hat. Sobald wir eine etwas seltenere Waffe gefunden und damit unsere Anfängerwaffe ersetzt haben, dauert es Stunden, bis wir wiedermal etwas wirklich besseres finden. Also stundenlang Pfeile vergleichen, bevor wir ein Erfolgserlebnis zugestanden bekommen. So funktioniert die Belohnungsmaschine nicht mehr, und das Vergleichen beginnt sich anzufühlen wie Arbeit.

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Das zweite Problem: Es dauert zu lange, bis neue Fähigkeiten («Skills») freigeschaltet werden. Wir wählen zu Beginn eine Charakter-Klasse aus («Siren», «Gunserker», «Commando», «Assassin»), und jede Klasse können wir in drei unterschiedliche Richtungen entwickeln – die «Siren» zum Beispiel kann eher heilende Fähigkeiten lernen («Harmony») oder stattdessen ihre Angriffe verbrennend oder ätzend machen («Cataclysm»). Bei jedem Level-Aufstieg erhalten wir einen Punkt, den wir für eine neue Fähigkeit oder zur Verstärkung einer bereits gelernten ausgeben können.

Wie in jedem Rollenspiel gibt es in diesen «Skill Trees» aktive und passive Fähigkeiten. Passive Fähigkeiten verbessern eine Eigenschaft unserer Figur – sie kann sich etwas schneller bewegen, etwas schneller nachladen, genauer zielen, mehr Treffer ertragen. Eine aktive Fähigkeit dagegen gibt ihr eine neue Handlungsmöglichkeit, die bestenfalls die Spielweise verändert.

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Früher setzten Rollenspiele vor allem auf passive Fähigkeiten, also Eigenschaftsverbesserungen. Es ist klar, warum: Die sind viel einfacher zu designen. Denn im wesentlichen&nbs
p;verändern sie einfach eine Zahl in der grossen Excel-Tabelle, auf der ein Rollenspiel letztlich fusst. Eine aktive Fähigkeit dagegen braucht z.B. neue Figur-Animationen, und sie kann die Spielweise grundlegend verändern. Sie ist deshalb schwieriger auszubalancieren, da die Gegner nicht plötzlich viel zu schwach werden dürfen.

Weil die Erwartungen der Spieler in den letzten Jahren gestiegen sind, versuchen moderne Rollenspiele, möglichst oft aktive Fähigkeiten freizuschalten. Denn eine passive nehmen wir kaum wahr, weil wir einfach etwas stärker werden. Eine aktive Fähigkeit dagegen ist eine echte Belohnung.

Diesbezüglich stimmt in «Borderlands 2» die Gewichtung nicht – es dauert mir viel zu lange, bis eine neue, aktive Fähigkeit freigeschaltet werden kann.

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Die «Siren» zum Beispiel erhält ihre Klassenfähigkeit «Phaselock» (eine violette Blase, die Gegner für ein paar Sekunden lähmt) mit Level 5. Danach kommen über 11 Levels nur noch passive Fähigkeiten, die das Schild verbessern, Phaselock verlängern oder einige Kugeln abprallen lassen. Erst mit Level 16 schalten wir die zweite Fähigkeit frei, die den Spielstil spürbar verändert – im «Motion»-Ast beispielsweise zieht die Phaselock-Blase dann zusätzliche Gegner an.

Auch danach geht es nicht schneller: es kommen wieder passive Statistik-Verbesserungen, bis mit Level 27 dann eine weitere Fähigkeit frei wird, mit der die Blase auf andere Gegner überspringen kann. 

Im Schnitt dauerte es bei mir etwa eine Stunde, bis ich einen Level aufstieg. Ich konnte also einen ganzen Abend lang spielen, ohne spürbar etwas neues gelernt zu haben. Es muss ja nicht gleich so schnell gehen wie in «Diablo» (wo wir mit fast jedem Level eine neue aktive Fähigkeit lernen, was eher überfordert). Aber zehn Stunden für eine neue Fähigkeit ist einfach viel zu lang.

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Es gibt sogar extreme Fälle wie z.B. die Fähigkeit «Ranger» des «Commando»: «Makes you better at just about Everything», je 1% mehr für «Gun Damage», «Accuracy», «Magazine Size» usw. usf. Das ist kein Skill, das ist ein gewöhnlicher Levelaufstieg. Es ist mir schon klar, dass das ein Witz sein soll, der genau diese Art von Skills parodiert. Aber wenn ich dafür einen hart verdienten Skillpunkt ausgeben muss, dann geht der Witz auf meine Kosten und das ist arschig.

Zugegeben: In der ersten Version von «Borderlands» gab es fast ausschliesslich «Excel-Tabellen»-Skills: Schnellere Cooldowns, mehr Beweglichkeit, mehr Schild, schneller feuern, etc. Verglichen damit ist diese zweite Version ein grosser Fortschritt, weil jede Klasse mehrere schöne aktive Fähigkeiten lernen kann. Vergleich man diesen Fortschritt aber mit aktuellen Rollenspielen, wirkt er kümmerlich und altertümlich.

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Denn es führt zu dem, was man im Rollenspiel-Jargon «Grinding» nennt: So lange etwas tun, um dann endlich eine Belohnung zu erhalten. Immerhin tut «Borderlands 2» alles, um uns vergessen zu lassen, das wir arbeiten. Die Dialoge der Figuren sind toll geschrieben und auch aussergewöhnlich gut geschauspielert. Die knalligen Farben der Welt finden ihre Entsprechung im kruden, pubertären, komplett überdrehten Splatter-Humor. Gegner und Schauplätze sind abwechslungsreich, das Tempo der Kämpfe ist meist atemberaubend hoch. Wenn wir uns online schalten, können jederzeit bis zu drei weitere Spieler in unserem Spiel auftauchen, die grade an derselben Stelle sind; das Zusammenstellen dieser Gruppen verläuft vollautomatisch, ohne Verwaltung oder Nachteile, «seamless drop in/drop out», wie man sagt – so muss ein Koop-Modus sein.

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«Borderlands 2» ist nicht perfekt – MEHRMEHRMEHR reicht hier nicht. Etwas kürzer und kompakter wäre besser gewesen, mehr aktive statt passive Fähigkeiten, vielleicht etwas weniger Waffen, dafür bedeutungsvollere.

«Borderlands 2» ist trotzdem ein tolles Spiel. Aber man darf ja noch träumen.

Borderlands 2 ist für PC, Xbox 360 und Playstation 3. Es ist aber sowas von ab 18. Das Haikiew ist hier.

Mein Interview mit Chief Creative Officer Brian Martel an der Gamescom:

WUBWUB:

6 Gedanken zu “Borderlands 2: BONERFART GRINDING

  1. Stimme dir in ziemlich allen Punkten zu. Allerdings motiviert mich dein Aktiv-/Passivproblem ziemlich. Ich habe ein Ziel, ich möchte diesen einen Skill erreichen, auch wenn ich halt zuerst einige Zeit mit passiven Skills versorgt werde. Wenn das aber eher langweilt, kann ich das auch verstehen, das kommt wohl auf den Spielertyp an.Aber sonst sehr schönes Review!

  2. Danke für dein Review. Erinnert mich daran, dass ich Teil1 auf der Platte hab und noch durchzocken wollte… 2 Punkte hätte ich aber noch:1) hast du auch ein Review zu Teil1 geschrieben und 2) funktioniert deine Blogsuche bei mir nicht (hab nach "borderlands" gesucht und kein Treffer bekommen (Google mit site-spezifischer Suche hat mir allerdings auch keinen Treffer für ein Teil1 Review ausgegeben))

  3. Nein, zum ersten Teil hab ich keins geschrieben. Denn der ging damals an mir vorbei, ich hab das erst später entdeckt. Mal für ein paar Level angespielt und dann aus Zeitgründen auf die Seite gelegt. Diesen Sommer hab ich’s allerdings wieder hervorgekramt und als Vorbereitung für dieses Review durchgespielt. Einsatz!

  4. Und ich finde ja auch, dass ganz viele aktive Skills zu viel wären; und wohl auch an Bedeutung verlieren würden. Ein paar weniger spektakuläre dazwischen, damit sich der neue Actionskill dann auch wirklich als Belohnung anfühlt, ist total ok. Aber 10 Stunden pro Skill sind einfach zu lange; würde ich z.B. je zwei Skills mit jeder Klasse erleben wollen, müsste ich gegen 80 Stunden investieren! Das ist zuviel verlangt, bzw. für meinen Geschmack etwas zu sehr auf die Hardcoreheinis ausgerichtet.

  5. Das ist wieder einmal ein hervorragender Artikel in dem ich Teile meiner Meinung wieder finde. Borderlands 2 wagt wenig neues und setzt auf grösser, lauter, bunter, schriller. Entspricht das nicht dem aktuellen Trend der Spielebranche (besonders bei Sequels)?Ich habe Borderlands geliebt und damals auf der PS3 zu 100% inkl. Platinum Trophy erledigt. Vor dem Release der Fortsetzung habe ich es zur Einstimmung auf der XBOX360 nochmal begonnen. Ich bin nicht sicher, ob ich für den zweiten Teil so viel (noch mehr) Zeit investieren werde. Man wird ja auch älter und die Freizeit wird rarer.

  6. Ich bin jetzt eine Spielerin, die sich null um diese Skillpunkte gekümmert hat – ich habe einfach der Reihe nach einen nach dem andern ausgesucht ;)Was mich eher "nervt" ist, dass ich jetzt das ganze Game mit dem gleichen Charakter nochmals durchspielen muss um das Endvieh bei level 50 rum zu schlagen. Und das macht mich nicht sehr an -ich würde lieber mit der neu gekriegten Spielfigur spielen – aber bringt mir ja nicht viel.Also warte ich auf Far Cry 3 und die andern feinen Shooter 🙂

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