Red Dead Redemption: In der Grossen Freiheit des Wilden Westens sind wir unfrei

Red Dead Redemption ist von Rockstar, den Machern von Grand Theft Auto. Und Red Dead Redemption ist genau wie GTA, einfach im Wilden Westen; Grand Theft Horse sozusagen. Wir begleiten John Marston, einen ehemaligen Outlaw, der nun gezwungen wird, seine ehemaligen Kumpel aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.
 
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Wenn ihr das nur lest, weil ihr wissen wollt, ob ihr das Spiel kaufen sollt, dann kann ich es kurz machen: Das ist ein hervorragendes Spiel, grossartige Unterhaltung. Der Wilde Westen wird bis ins letzte Detail nachgebildet, das Licht in der Wüste und die Sonnenuntergänge sind atemberaubend, die Figuren, die Geschichte, die Stimmen sind von gewohnter GTA-Qualität. Koboi-Spielen war nie besser.
 
Trotzdem kann ich eine leise Enttäuschung nicht verdrängen. Es folgt Jammern auf hohem Niveau.
 
Red Dead Redemption steht in der Grand-Theft-Auto-Tradition und ist ein Sandkasten-Spiel. Wir werden in diese riesige Welt gesetzt und können tun, was wir wollen. Wir können die Geschichte verfolgen – aber auch Tiere jagen und die Felle verkaufen, Poker spielen im Saloon, Pferde zureiten, Schätze suchen oder einfach nur die Canyons, die Wüste und die Prärie durchstreifen und die Landschaft bewundern. Es gibt so viel zu entdecken, dass man oft stundenlang die Hauptgeschichte vergisst.
 
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Das ist genau der Reiz der Spiele dieses Genres: Statt einer Geschichte zu folgen, die uns erzählt wird, und in der wir nur einen für uns geschriebenen Part spielen, können wir unsere eigene Geschichte schreiben und erleben.
 
Red Dead Redemption setzt auf die aus GTA bewährte Spielmechanik; die Bedienung ist identisch, die Anzeigen, der Aufbau der Missionen (inklusive langer Fahrten mit Plaudern, was die Rock-Paper-Shotgun-Kollegen im aktuellen Podcast bewogen hat, das Genre „Chat & Shoot“ zu taufen). Doch was in der eng begrenzten Welt von Liberty City in GTA noch hervorragend geklappt hat, zeigt hier im weiten, freien Westen von Red Dead Redemption gut sichtbare Risse.
 
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Die Steuerung in GTA war schon immer hakelig. Seit GTA IV sind aber zwei Jahre vergangen, andere Spiele haben bedeutend elegantere Lösungen geliefert. In Red Dead Redemption bleibt man einfach zu oft irgendwo dumm an einer Ecke hängen oder braucht zu lange, bis man aus der Deckung kommt. Meistens sind das Eigenfehler, zugegeben. Eine gute Grundmechanik erlaubt aber Fehler, und gibt die Möglichkeit, diese noch zu korrigieren. Red Dead Redemption ist hier zu stur. Das gab mir in einigen Missionen das Gefühl, unfair behandelt zu werden – durch zu weit auseinander liegende Checkpoints noch verstärkt.
 
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Auch scheint mir das Skript nicht ganz die Brillanz von GTA IV zu haben. Einige Figuren sind mit einem zu breiten Pinsel gemalt. Man trifft zum Beispiel fast ausschliesslich auf Figuren, die über die Bundesregierung jammern, das „Die da oben wollen nur Macht und Geld“-Klischee. Figuren wie der Quacksalber West Dickens oder der besoffene Waffenhändler Irish sind mir zu flach, zielen oft nur auf Lacher ab und wirken in der sonst eher ernsthaften Geschichte etwas fehl am Platz. Hier war GTA IV konsistenter und grau statt schwarzweiss.
 
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Und schliesslich taucht das alte Problem der Handlungsfreiheit in Sandbox-Spielen wieder auf. Einerseits verfolgen wir die Geschichte von John Marston, der versucht, seine gewalttätige Vergangenheit zu verdrängen, nun aber gezwungen wird, sich ihr zu stellen. Ein klassischer Konflikt eines modernen Western-Anti-Helden: Ist er wirklich geschaffen, ein Farmer zu sein? Oder ist das Menschen-Umlegen das, was er halt am besten kann? Kombiniert mit dem beginnenden Untergang des Wilden Westens um die Jahrhundertwende und damit der Verdrängung des Outlaws ist das Fundament für eine komplexe Figur gelegt.
 
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Obwohl uns aber totale Handlungsfreiheit suggeriert wird, kann John Marston eigentlich nur sehr wenig tun: Reiten und Schiessen. Trifft man z.B. auf einen Besoffenen, der eine Prostituierte verprügelt, kann man der Dame nur helfen, indem man den Säufer umlegt – entweder ohne Warnung, oder spätestens dann, wenn er auf uns zu schiessen beginnt. Derselbe John Marston, der vor zehn Minuten einer jungen Farmerin von seiner Familie erzählt oder einem General empfohlen hat, seine Leute etwas besser zu behandeln, derselbe Mann lässt nun gleich seinen Revolver sprechen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das macht keinen Sinn.
 
Das Problem ist, dass ich als Spieler nichts anderes tun kann – Action ist immer Kampf, andere, gewaltlosere Optionen gibt es nicht. Das Vokabular, mit dem ich meine eigene Geschichte erzählen sollte, ist streng begrenzt. Als würde ich eine Sprache sprechen, die nur aus Fluchwörtern besteht.
 
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Dieses grundsätzliche Problem ist in GTA IV in der Praxis keines: Denn wir bewegen uns in einer Unterwelt von Drogenhändlern und Massenmördern – dort macht es Sinn, dass auch die Hauptfigur Nico nur die Sprache der Gewalt beherrscht. In Red Dead Redemption hingegen wird eine viel normalere Welt gezeichnet. Zwar der Wilde Westen, mit entsprechend rauen Sitten – aber bewohnt von Händlern und Bauern, ehrenhaften Leuten, die ihre Waffe nur benutzen, um Wölfe von der Farm zu vertreiben. Dass John Marston immer gleich dreinhaut, kann man noch damit begründen, dass er halt ein Outlaw war – das würde ja aber wieder heissen, das Korsett der vorgeschriebenen Geschichte zu übernehmen und trotz Sandkasten eben nicht eine eigene zu erzählen.
 
Diese leise Enttäuschung ist bittersüss: Zwar habe ich in der grossen Freiheit des Wilden Westens verstehen müssen, wie unfrei wir Gamer tatsächlich noch sind. Dass uns aber ein Spiel in eine so glaubwürdige Welt setzt, dass dieser Anspruch auf mehr Optionen überhaupt erst entstehen kann, ist ohne Zweifel eine grosse Leistung. Red Dead Redemption ist ein leuchtendes Beispiel, wozu Games heute schon in der Lage sind – und es deutet an, wozu sie vielleicht bald in der Lage sein werden.
 
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Und deshalb muss man Red Dead Redemption gespielt haben. Allein dieser eine Moment ist es wert: Wenn man das erste Mal durch Mexiko reitet, erklingt völlig unvermittelt „Far Away“ von Jose Gonzalez – sonst hört man im Spiel nur leise Hintergrundmusik und das Trampeln der Hufe. Und jetzt reitet man zu diesem sehnsüchtigen Song durch die Wüste, natürlich in einen Sonnenuntergang, und hört bis zum Ende zu. Ganz ohne Action – grossartig.
 
Red Dead Redemption gibt es für Xbox360 und Playstation 3, es ist ab 18. Das Haikiew ist hier.

8 Gedanken zu “Red Dead Redemption: In der Grossen Freiheit des Wilden Westens sind wir unfrei

  1. Hallo GuidoErst mal, ich stimme in den meisten Punkten mit Dir überein, was die Sprache der Gewalt angeht, John immer nur reinhaut stimmt nicht ganz. Nicht zu vergessen ist, dass man stets die Möglichkeit hat, einen Verbrecher auch einzufangen und der Justiz abzuliefern.

  2. @Rolf: Du hast recht, das ist mir aber fast nie gelungen (weil ich etwas Mühe mit dem Lasso hatte). Und kaum sind sie frei, schiessen sie wild um sich, und dann ist Zurückschiessen oft viel einfacher als Einfangen.Mir haben halt die "Drohen"- oder "Überreden"-Optionen aus Bioware-RPGs wie Mass Effect gefehlt, v.a., weil man mit den "Ruhm"- und "Ehre"-Balken ja schon eine passende Mechanik im Spiel hätte.

  3. Anscheinend hat Mr. Berger nicht verstanden, dass er mit dem Lasso nicht nur jemanden einfangen, sondern auch fesseln kann. Idiot.

  4. Also ich hab den Leuten zuerst immer ihre Waffen/Messer aus der Hand geballert und dann erst das Lasso eingesetzt und sie gefesselt (natürlich mit hilfe des Dead Eye’s)Muss dir zustimmen bei dem 1. besuch in mexiko das war echt sehhrr gut gemacht !und das ende hätte ich nicht erwartet…

  5. Anscheinend hat Mr. fhvjbj nicht verstanden, dass anständig vorgetragene Argumente überzeugender sein könnten.Wie das Johnny macht. Es geht mir aber weniger um den Aspekt des Tötens, als um die stark beschränkten Handlungsfähigkeiten allgemein. Ob ich jetzt zwei oder drei Optionen habe, spielt keine grosse Rolle – Fakt bleibt, dass ich gerne mehr Auswahl gehabt hätte, viel mehr.Und nochmal: das ist keine harte Kritik, das ist eigentlich ein Kompliment in Kritikform. Denn nur weil mich das Spiel in eine so glaubwürdige Welt versetzen kann, taucht der Wunsch nach mehr überhaupt auf. In Modern Warfare z.B. habe ich mir nie Dialogoptionen gewünscht 😉

  6. Und apropos Dead Eye: Da schwanke ich noch sehr hin und her, wie ich das finden soll.Manchmal fühlt es sich etwas wie ein Game-mechanischer Beschiss an. Wenn man z.B. in einen Hinterhalt gerät und daraus nur lebend herauskommt, wenn man sofort als erstes den Dead Eye Knopf drückt. Da hätte man eigentlich auch die Konfrontation fairer gestalten können und den Gimmick der Zeitlupe nicht gebraucht. Dead Eye wirkt dann, als hätte man das Spiel zu schwer gestaltet und dann einen "Mach das wieder einfach!"-Knopf oben drauf gepappt.Umgekehrt ist es natürlich ein zusätzliches Mittel, um z.B. Duelle schön zu inszenieren und hat damit gerade in einem Western eine echte Daseinsberechtigung.Was meint ihr dazu?

  7. Ich habe mich nie richtig gezwungen gefühlt den Dead-Eye-Modus zu verwenden. Es ist zwar eine witzige Möglichkeit einem Gegner nur ins Bein bzw. in die Hand zu schiessen um in unschädlich zu machen, aber da der Gegner direkt anvisiert wird ist dies auch ohne Dead Eye möglich.

  8. sehr schöner bericht, fast ein wenig zu kurz. das game fesselt wirklich. manchmal vergesse ich auch stundenlang die story, nur weil ich ein paar kaninchen am suchen bin :-). was mich immer wieder fasziniert sind die tollen landschaften. einfach herrlich. dead eye benutze ich eher weniger, wenn dann meistens wenn ich in grosser gefahr bin und z.b. von kojoten umzingelt bin.

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