Minotaur Rescue: Ein psychoaktiver Jeff Minter

Jeff „Yak“ Minter ist mein Held. Der britische Alt-Hippie lebt mit seinen Schafen und Llamas zurückgezogen in Wales, er ist so haarig wie seine Viecher und er brütet seit den 80ern immer wieder wundersame Games aus, die man nur schwer erklären kann, die aber eine treue, eingeschworene Fangemeinde (die Llamasofties) zuverlässig in Entzücken versetzen. Jetzt ist es wieder soweit: Minters Llamasoft hat für iPhone, iPad und iPod Touch soeben Minotaur Rescue veröffentlicht. EXCITING!

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Doch zunächst noch einmal zu den Schafen: Die beschreibt Minter auf seiner Firmenhomepage ausführlich und liebevoll, Ginger z.B. sei ein Flittchen und Butterbean sehr entspannt und zufrieden. Da ich selber Schafe gerne mag, ist hier schon eine recht grundlegende Konnektschen vorhanden, Mann. Und Gridrunner Revolution liebe ich, nicht nur wegen den Schafen (deren Baaas im Spiel Minter von seinen eigenen Schafen aufgenommen haben will), sondern vor allem wegen der phänomenalen Maussteuerung und der psychoaktiven Tripgrafik.

Und nun wagt sich Minter also auf die iOS-Plattform vor und lernt eine neue Steuerung (was er in diesem charmanten Interview erläutert): Nicht Joystick oder Maus, sondern per Touchscreen. Sonst ist das Spiel aber ein klassischer Minter: Die Grafik ist sehr retro, sie soll wie aus der VCS-Ära aussehen (was Minter hier ausführlich erklärt), er erfindet dafür extra das Ataurus-System. Spielerisch ist das Asteroids auf Drogen: Wir pilotieren ein rotes Raumschiff (ein simples Dreieck) und sollen Asteroiden daran hindern, in eine Sonne zu sausen und dazu verloren gegangene Minotauren einsammeln. Klar, Minotauren in Space, warum nicht!

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Das Spiel sperrig zu nennen, ist noch untertrieben. Chris Donlan schreibt in seinem Review für EDGE: „This isn’t arcadey because it’s a small project (even though it is) or because it’s simple to get into (it isn’t). It’s arcadey because it attracts you with garish prettiness and then proceeds to show you it doesn’t think very much of you.„. Wie man genau spielt und was man tun soll, wird nicht wirklich erklärt. Es ist schwierig. Kaum haben wir auf Play gedrückt, sehen wir eine Sonne in der Mitte flackern, erkennen unser rotes Raumschiff und sehen die ersten Asteroiden und Minotauren herum schweben, aber wie wir das Raumschiff steuern, ist völlig unklar. Berührt man den Bildschirm, saust es wild und wirr in der Gegend herum, erschreckt und verwirrt lassen wir wieder los. Nach zehn Minuten fragt man sich, ob man da gerade einen Franken verschleudert hat.

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So ist jeder Erstkontakt mit einem Minter-Game. Das Spiel signalisiert sofort, dass sich Minter weder um Markt noch um Erwartung und Geschmack des Publikums schert. Der zieht seit drei Jahrzehnten sein Ding durch, und dieses Ding beschreibt er so: „retina searing visuals, precision-balanced gameplay and the occasional ovine utterance„.

Check, check und check: Die letztgenannten Schafgeräusche sollen hier zwar Minotauren sein, ich hege aber den Verdacht, dass Minter wieder seine Schafe aufgenommen hat und das einfach etwas langsamer abspielt. Die Grafik ist wie gesagt wunderbar retro, und bald tummelt sich auf dem Bildschirm so viel, dass man nicht mehr den Anspruch haben kann, alles zu erkennen und die Kontrolle zu haben. Man muss loslassen und sich dem Flow des Spiels hingeben – total hippie! Und hier kommt dann die precision ins Spiel. Plötzlich realisiert man, dass hinter der 80er-Grafik eine äusserst moderne, vorzügliche Steuerung verborgen ist. Wir können den Bildschirm irgendwo berühren (vorzugsweise dort, wo wir nicht gerade Chaos veranstalten) und steuern das Raumschiff, indem wir sanfte Bewegungen in die gewünschte Richtung macht, als würde man es sachte dort hin schubsen wollen. Streicheln bewegt es langsam und präzise, und ein kräftiger Strich lässt es über den Bildschirm sausen. Das begreift man nach einer Weile plötzlich intuitiv – und dann klickt das Spiel. Was gerade noch frustrierender Nonsense war, wird plötzlich zu einer Kunstform.

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Wenn das Raumschiff oben den Bildschirm verlässt, kommt es von unten wieder herein – auch das führt zu Beginn zu heillosem Durcheinander, weil wir links hinschauen, obwohl wir schon lange rechts wieder reingeflogen sind. Hat man das Raumschiff aber einmal genug unter Kontrolle, wird der Seitenwechsel wie schon in Pacman zu einer wichtigen strategischen Waffe. Und bald beginnen wir, nicht nur wild herumzusausen, sondern auf Punkte zu gehen, High Scores zu jagen. Wir begreifen, dass die Schüsse des Raumschiffs von der Sonne abgelenkt werden und wir so elegante Bogenschüsse abfeuern können. Wir feuern links raus und rechts wieder rein. Wir verstärken das Bordgeschütz, indem wir möglichst viele Minotauren einsammeln. Wir merken, dass wir sie anziehen, wenn wir in der Nähe sind. Wir werden mit Ufos und Minen fertig. Und wir nehmen die Hera
usforderungen der Game-Center-Erfolge an, die wunderbar wortspielverliebtResponsibull (Rescue every minotaur on 3 consecutive levels)“ oder „Maxotaur (Max out your lives at 10)“ heissen.

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Man kann das Spiel auf dem iPhone auch zu zweit spielen können, auf dem iPad gar zu viert. Alle Spieler langen dabei auf den gleichen Bildschirm und haben „ihre“ Hälfte resp. Ecke und eine eigene Farbe. Konnte ich leider nicht ausprobieren, aber ich stelle mir das Chaos recht glorios vor. Der Hauptmodus des Spiels (Solar Minotaur Rescue Frenzy) wird ergänzt durch einen Modus ohne Sonne und dafür Asteroiden, die vom Raumschiff angezogen werden (Deep Space Minotaur Madness), und die beiden Minigames „Tanks!“ und „Jets!„. Laut Minter ist das ausserdem nur der erste Teil einer ganzen Minotaur-Serie – man darf gespannt der weiteren irren Dinge harren.

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Minotaur Rescue beschränkt sich auf Lo-Fi-SFX und Stiergegrunze – der hypnotische Soundtrack von z.B. Gridrunner Revolution fehlt. Was mich zunächst etwas enttäuscht hat, ist aber genau der richtige Entscheid – schliesslich spielen wir das Spiel auf einem iOS-Gerät und haben da ohnehin unsere Lieblings-Tripmusik dabei. Naheliegend sind englische Elektroniker wie Burial oder Nero – ich empfehle aber auch Experimente wie den Gospelblues der Holmes Brothers oder den Humppaa von Eläkeläiset. Kopfhörer an – und die Trance findet dich auf unergründlichen Wegen.

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Das ist kein Spiel für alle und jeden. Viele von euch werden es ausprobieren und sich nachher wundern, was ich um alles in der Welt geschluckt habe. Ein Game von Llamasoft, das habe ich geschluckt. Und es fühlt sich guuut an.

Minotaur Rescue ist für iOS, zum Download über iTunes für CHF 1.10. Das Haikiew ist hier.

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