Aus Flower fliesst friedliche Freude

Flower von thatgamecompany (den Machern von Flow) für die Playstation 3 verzückt zur Zeit die Kritiker. Als Beispiel sei der sonst sehr zerebrale Michael Abbot von Brainy Gamer zitiert:

Today I find myself in a state of exuberant euphoria, brought on entirely by my joyful immersion in this simple, beautiful, thrilling, restorative game. At this moment I want to jump up and down, fly a kite, hug strangers, and post exuberant blog entries with no analytical content whatsoever.

Flower ist ein Spiel, das fast ohne Erklärung auskommt. „Zum Segeln Controller neigen. Für Wind beliebige Taste drücken. Entspann dich und hab Spass.“ ist die komplette Anleitung. Und so schlüpft man in den Wind und bringt geschlossene Blumen zum Blühen, was die zunächst graue Welt in eine wunderschöne Kitschpostkarte verwandelt.

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Flower ist ein sehr schönes Spiel. Für ein so kleines Studio ist die Grafik und die Produktionsqualität erstaunlich. Jeder Grashalm, jedes Blütenblatt ist einzeln animiert, die Farben sind knallig, die Lichteffekte besonders in den Nacht-Leveln sind prächtig.

Flower überzeugt aber auch beim Spielen: in jedem der sechs Level kommt ein neues Gameplay-Element dazu. Zunächst geht es nur darum, Blumen zu berühren und damit zum Blühen zu bringen. Später werden Strohhaufen zum Leuchten gebracht oder böse Strommasten abgeschaltet. Der Grundmechanismus bleibt natürlich derselbe: fliege in etwas hinein. Durch die leichte Variation vermeidet das Spiel aber, dass es repetitiv wirkt.

Kleines schönes Detail: Drücken auf einen beliebigen Knopf lässt den Wind blasen, ist also sozusagen der Vorwärts-Knopf. Im Gegensatz zu einem Gaspedal geht es aber nicht sofort vorwärts, sondern zuerst ein bisschen zurück. Der Wind holt erst Luft, bevor er bläst. Genial.

Flower

Flower ist kurz. In gut zwei Stunden haben es auch Anfänger durchgespielt. Die 13 Franken, die man im Playstation Store für Flower bezahlt, entsprechen ungefähr einem Kinoeintritt, und das ist auch etwa, was man dafür bekommt: einen Abend Unterhaltung.

Klar, in jedem Level sind drei türkisfarbene Blumen versteckt, die man entdecken kann. Und das Trophäensystem der Playstation 3 gibt weitere Aufgaben vor. Ich glaube aber nicht, dass viele Spieler viel Zeit mit Flower verbringen werden. Ich habe es nun zweimal durchgespielt und wohl schon ziemlich gesehen. Ein wunderschönes Erlebnis, aber vorbei ist vorbei.

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Das Spielverständnis von Flower zeigt seine Abkunft von Flow. Wie dieses gibt auch jenes kaum Ziele vor; es ist nicht möglich, zu scheitern; es wird kein Druck erzeugt; Adrenalin pumpt nie. Spielziel ist Entspannung, Abschweifen, Eintauchen, Geniessen. Dies setzt Flower noch erfolgreicher um als Flow. Der Grund dafür ist, dass Flower eine Geschichte erzählt. Es ist eine simple Parabel, die Schönheit der Blumen wider Verunstaltung durch Stahlmasten. Nicht etwa anti-urban, wie ich nach den ersten drei Leveln dachte, mehr für Wind- und gegen Atomstrom. Es ist nicht eine Geschichte, die man sich nacherzählen wird, aber eine Geschichte, die dem Spiel einen roten Faden gibt und die am Ende erfüllend und befriedigend ist. Flow wirkte schon nach ein paar Leveln wie eine To-Do-Liste: erledige das, schalte jenes frei. Flower hingegen zieht mich mit Schwung durch die Geschichte hindurch.

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Ebenfalls aus Flow übernommen wurde das Konzept der generativen Musik. Der Soundtrack von Flower wird abhängig von den Aktionen der Spieler und dem Fortschritt im Level generiert. Eine Hörprobe:


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Auch hier hat man aus den Fehlern von Flow gelernt: abwechslungsreicher und dynamischer ist die Klangkulisse, zielgerichteter. In Flow war sie nur Klangteppich. In Flower ist die Musik ein Teil der Dramaturgie. Sie beginnt simpel (und erinnert noch stark an Flow, lediglich anders instrumentiert), schwillt aber stetig an. Im letzten Level ist sie orchestral und wirklich bewegend.

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Auch Flower hat Schwächen. Es gibt zu viele unsichtbare Wände: will man in eine Richtung fliegen, die dem Spiel nicht passt, wird man von einen Windstoss erfasst und recht abrupt um 180 Grad gedreht. Das liesse sich noch hinnehmen in den frühen Levels. Gegen Ende gibt es allerdings einige Levels, die das Experimentieren tatkräftig behindern: gerät man an bestimmten Stellen auf eine Bahn und bemerkt das eine Sekunde zu spät, kann man nicht einfach umdrehen, sondern muss einen ganzen Kurs noch einmal abfliegen, um an die Ausgangsposition zurückzukehren. Das ist insbesondere schlecht, wenn man auf der Suche nach den versteckten Trophäen ist und sich damit gezielt vom vorgesehenen Pfad entfernt. Hier ist das Spiel zu linear, obwohl die Trophäen ein freieres Erkunden suggerieren.

Dazu kommt eine eher unpräzise Steuerung. Klar, Wind ist nicht gerade chirurgisch, es kommt aber zu oft vor, dass man eine Blume mehrmals überfliegt, ohne sie zu erwischen. Das ist beim ersten Spielen irrelevant, weil man schlicht nicht alle Blumen erwischen muss. Wenn man aber bei zweiten, dritten Versuch auf der Jagd nach Trophäen ist, sind solche Probleme ärgerlich. Ich wurde deshalb den Eindruck nicht los, dass man die Trophäen erst nachträglich eingebaut hat, um mehrfaches Spielen und damit den höheren Preis zu rechtfertigen. Konsequent
er wäre es gewesen, Flower als das zu akzeptieren, was es ist: ein Spiel, das man genau einmal durchspielt und dann zur Seite legt.

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Diesen einen Abend mit Flower möchte ich aber nicht missen. Friedlich, entspannt, bewegend, ein erfüllendes Finale – die verbreitete Begeisterung ist berechtigt.

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